Silke Bettermann
Fünf großformatige dunkle Gemälde in schwarzer Rahmung präsentierten sich im Frühjahr 2015 dem Besucher beim Eintritt ins Foyer des Kammermusiksaals Herrmann J. Abs im BeethovenHaus Bonn. Die rätselhaften Bilder, die sich erst beim näheren Herantreten als Portraits Ludwig van Beethovens (1770–1827) zu erkennen geben, sind das Werk des Londoner Malers Mark Alexander(*1966)11 und entstanden im Rahmen eines Arbeitsaufenthaltes in Bonn, wo sich der Künstler in den Jahren 2014–2015 auf Einladung des Beethoven-Hauses aufhielt. Irritierend, vielleicht sogar ver- störend wirkt die Gemälde-Serie, der Alexander den Namen Credo I-V gegeben hat, und provoziert zum Nachdenken und Nachfragen – nach den Intentionen des Künstlers ebenso wie nach dem Dar- gestellten. Alle fünf Bilder beziehen sich auf eine gemeinsame Vorlage, ein Gemälde von der Hand des späteren Münchener Hofmalers Joseph Karl Stieler (1781–1858), das Ludwig van Beethoven im Alter von etwa 50 Jahren zeigt. Dieses heute im Beethoven-Haus Bonn befindliche, 72 x 58,5 cm große Ölbild entstand zu Beginn des Jahres 1820 im Auftrag des mit dem Komponisten eng befreundeten Ehepaars Franz und Antonie von Brentano. Es gehört zu den wenigen Portraits, für die Beethoven mehrmals Modell gesessen hat, und es ist das einzige seiner zeitgenössischen Bildnisse, für das ein Gedankenaustausch zwischen dem Musiker und dem ihn portraitierenden Maler belegt ist.22
Joseph Karl Stieler zeigt den Komponisten, als wolle er gerade einen musikalischen Einfall festhalten, mit einem Stift und einer Notenhandschrift, dem Manuskript der Missa solemnis op. 123. Die Frage, welche Beschriftung die auf dem Portrait sichtbare Seite der Handschrift tragen sollte, wurde ausführlich zwischen Maler und Modell erörtert, wie die entsprechenden Passagen in den erhaltenen Konversationsheften belegen.33 Man entschied sich geradezu programmatisch für das Credo, also die musikalische Interpretation des christlichen Glaubensbekenntnisses, aus Beethovens Messe, und auch Stielers Bildaufbau scheint sich auf dieses große religiöse Werk des Wiener Meisters zu beziehen. Denn mit der Pose des Komponisten und dessen nach oben gerichteten Blick greift der Maler auf traditionelle Vorbilder aus der christlichen Kunst zurück, wie etwa Darstellungen der Evangelisten oder der Kirchenväter, denen die heilige Botschaft unmittelbar vom Himmel herab verkündet wird, um sie schriftlich festzuhalten und so an die Menschheit weiter zu geben. Beethoven wird durch diese visuelle Assoziation als reflektierender Denker in der Auseinandersetzung mit religi ösen Fragestellungen gedeutet. Gleichzeitig kann seine Haltung aber auch als die eines einsam in sich hinein lauschenden Künstlers interpretiert werden, der das im eigenen Innern Gehörte in seiner Musik festhält. Mit einer solchen Auffassung greift Stieler Ansätze zur Interpretation Beethovens im Sinne des romantischen Genie-Kultes auf, worauf auch der waldähnliche Naturausschnitt im Hintergrund des Gemäldes verweist. Denn dieses Ambiente spielt auf das Ideal des Künstlers an, der seine Inspiration in der Natur erfährt und dort zugleich Antworten auf die Suche nach Gott findet. Aber auch in der Gewandung des Komponisten bietet der Maler eine weitergehende Interpretation im Sinne des Künstlerkultes des frühen 19. Jahrhunderts an: Beethoven erscheint leger, fast etwas exotisch gekleidet im betressten Morgenrock, mit geöffnetem weichen Hemdkragen und locker gebundenem roten Halstuch. Mit diesen Elementen zitiert das Bild Künstler- und IntellektuellenPortraits des späten 18. Jahrhunderts und spielt damit auf die geistige Freiheit des Dargestellten an.
Das ausgesprochen vielschichtige und ästhetisch ansprechend umgesetzte Konzept, das sich in Joseph Karl Stielers Beethoven-Bildnis manifestiert, hatte beim Publikum sofort nachhaltigen Erfolg. Unmittelbar nach seiner Fertigstellung wurde das Portrait mit viel Erfolg in Wien ausgestellt, und bereits wenig später begann man, es im Medium der Druckgraphik zu reproduzieren und zu verbreiten. An dieser frühen Popularisierung seines Gemäldes wirkte auch der Maler selbst durchaus aktiv mit, denn in seiner Münchener Werkstatt und unter seiner Aufsicht fertigte Friedrich Dürck (1809–1884) bereits 1826 eine Lithographie nach dem Ölgemälde, der zahlreiche weitere Nachstiche und Nachdrucke folgen sollten. Vor allem im 20. Jahrhundert wurde das Stieler´sche Portrait schließlich ungemein populär und prägte nachhaltig die Vorstellung vom Aussehen Ludwig van Beethovens im Bewusstsein des Publikums. Über die Vermittlung durch Andy Warhols (1928–1987) verfremdete und modernisierte Fassung entwickelte es sich seit Ende der 1980er Jahre zu einer Art „BeethovenIkone der Moderne“, die heute in der Wahrnehmung der breiteren Öffentlichkeit mehr als jedes andere Portrait den Komponisten Ludwig van Beethoven repräsentiert und für zahlreiche zeitgenössische bildende Künstler den Ausgangspunkt für eigene Arbeiten bildet.44
Für die moderne bildkünstlerische Auseinandersetzung mit Beethoven bietet die Wahl einer derartig bekannten Vorlage einerseits den Vorteil des unmittelbaren Wiedererkennungswertes beim Betrachter, birgt zugleich aber auch die Schwierigkeit, angesichts der Popularität des Motivs zu einerklaren eigenen Positionierung und Aussage zu gelangen. Jedoch muss genau dies, die Vermittlung des eigenen künstlerischen Standorts, Ziel jeder ernsthaften Auseinandersetzung mit der Gestalt des Komponisten sein. Hier beschreitet Mark Alexander einen sehr interessanten und sehr individuellen Weg, wie vor allem der Vergleich mit der heute ungemein weit verbreitete Fassung des Bildes von Andy Warhol deutlich machen kann. Während der New Yorker Pop-Art-Künstler das Originalportrait durch die kraftvolle, in verschiedenen Varianten erprobte Farbgebung und die aus den Massenmedien übernommene Siebdrucktechnik uminterpretiert und Beethoven sozusagen mitten in die grell-bunte Welt der Moderne versetzt, geht Alexanders Credo-Serie den diametral entgegengesetzten Weg. Sie taucht den Komponisten in Dunkelheit–in tiefschwarze und schwarz-graue Farbtöne, zwischen denen sein Bildnis erst in extremer Nahsicht und beim geduldigen Betrachten erkennbar wird.
Schwarz, die Nicht-Farbe55, die in der europäischen Tradition für Feierlichkeit, Trauer, Nacht und Tod steht, hat Mark Alexander verschiedentlich fasziniert. So hat er, ehe er seine Beschäftigung mit dem Portrait Ludwig van Beethovens aufnahm, verschiedene Meisterwerke der Malerei des 19. Jahrhunderts in dunklen, schwarzgrauen Farbnuancen neu gefasst und interpretiert, wie z.B. Vincent van Goghs Portrait des Dr. Gachet66 oder Caspar David Friedrichs Wanderer in den Bergen.77